Der Geist führt den Körper (mind leads body)

— von Olaf T. Schubert —

Im letzten Artikel ging es darum, alle Aspekte des Menschen (Körper, Geist, Energie, Emotionen, Seele oder universelles Bewusstsein…) als zusammenhängendes Ganzes zu sehen. In unserem täglichen Leben, in unserem Tun, unserer Bildung, Arbeit, Hobbies, Ernährung, Schlaf… und auch bei der Heilung von Krankheiten, kann nur ein ganzheitlicher Ansatz Erfolg bringen – für ein vollständiges, ausgeglichenes Leben ohne Defizite.

Alle Aspekte des Menschen, seine Körperteile, inklusive Gehirn, Nervenbahnen… und allen anderen Organen, die chemischen, biologischen und elektrischen Prozesse im Körper, unser Denken, Erinnern, Fühlen, Wahrnehmen… alle Aspekte lassen sich, vereinfacht ausgedrückt, auf eine materielle und eine energetische/geistige Art betrachten. Mittlerweile setzt sich auch in der westlichen Wissenschaft (Medizin, Biologie, Neurologie, Psychiatrie…) die Erkenntnis durch, dass diese zwei Aspekte des Menschen, Geist und Körper, zwar in der Theorie und für Analysen jeweils für sich betrachtet werden können, in der Realität aber immer in Einheit mit dem jeweils anderen Aspekt existieren und funktionieren. Geist und Körper sind eins – und das auf der Makroebene wenn man den Körper und Geist von aussen in seiner täglichen Funktion betrachtet (z.B. eine Tasse aus dem Schrank zu nehmen), über einen Gedanken im Gehirn, und damit schon feiner, interner, nicht so leicht sichtbar, bis hin zu Funktion und Lebenszyklus einzelner Zellen und ihren vielfältigen Kommunikationsprozessen, zum DNA-Strang (als Datenspeicher, Steuerelement, und auch hinsichtlich seiner Entwicklung im Laufe eines Lebens), bis in die feinste Mikroebene…

Als eine Folgerung z.B. setzt sich dadurch auch immer mehr die Sichtweise durch, dass zur Heilung eines „körperlichen“ Problems nicht nur körperliche Interventionen, sondern immer auch die geistigen (psychologischen, energetischen…) Aspekte des Heilungsprozesses beachtet werden müssen. Hier denke man nur an den Placebo-Effekt, durch dessen Entdeckung schliesslich erkannt wurde, dass medizinische Interventionen eigentlich nur die körpereigenen Heilungsprozesse anstossen, durch die der Mensch letztlich heilt. Umgekehrt ist mittlerweile akzeptiert, dass körperliche Übungen durch ihre Wirkungen auf das Gesamtsystem z.B. psychologische Probleme heilen können – z.B. trägt eine Verlangsamung des Atems durch eine Atemübung zum Abbau der Stressreaktion bei.

Was bedeutet das für unser Leben? Nun, wenn es darum geht was wir als Mensch tun, oder nicht tun, wie wir sind, dann müssen wir hier noch einmal unter diesem Aspekt genauer hinschauen.

Denn, analysiert man einmal was da tatsächlich vorgeht, so kommt man an der Tatsache nicht vorbei, dass bei menschlicher Aktivität immer zuerst der Geist aktiv wird, oder zumindest bestimmt was jetzt in mir / durch mich passiert (es gibt schliesslich nicht nur bewusstes Handeln). Entweder durch reine geistige Aktivität (ein Gedanke, ist immer verbunden mit chemischen/elektrischen, d.h. körperlichen Prozessen), oder durch geistige Aktivitäten die gröbere körperliche Reaktionen hervorrufen (z.B. bei Konzentration gehen die Schultern nach oben), oder beim Ausführen einer körperlichen Handlung (ich nehme eine Tasse aus dem Schrank)… letztlich muss man sich doch fragen: Kann ich überhaupt irgendetwas als Mensch tun, bei dem nicht zuerst der Geist aktiv ist? Versuch mal eine Tasse aus dem Schrank zu holen, ohne vorher die Intention oder den Gedanken zu haben, das jetzt tun zu wollen! Es ist schlicht unmöglich. Ja, Geist und Körper sind eins, zwei Aspekte der gleichen „Sache“, zwei Seiten derselben Medaille, aber wir müssen zugeben dass bei aller menschlicher Aktivität (auch auf dem Sofa sitzen, oder Schlafen, zählen dazu) dennoch auch immer gilt: Der Geist führt den Körper.

Im Shinshin Toitsu Do überprüfen und erforschen wir diese Zusammenhänge regelmäßig in unserem Üben – hauptsächlich in Form des sogenannten „Ki-Testens“, bei dem wir aufgrund der Einheit von Geist und Körper anhand des Testens des Körpers den Zustand des Geistes unseres Übungspartners überprüfen können. Zum Beispiel durch diesen Test hier: 

Der zu testende Partner steht aufrecht, entspannt, wach, im Unterbauch zentriert, und mit dem Gewicht auf dem vorderen Teil seiner Füsse (Details zum natürlichen Stehen, wie auch zum Testen, lernst du bei uns im Dojo bzw. auf einem Seminar). Ist er dabei geistig komplett ruhig, so wird er beim leichten Schieben des Testers von vorn gegen seinen Oberkörper einfach ruhig und stabil stehen bleiben. Konzentriert er sich allerdings z.B. auf seinen Scheitel (wir sagen manchmal, „stell dir vor auf deinem Scheitel läuft eine Ameise“), dann wird er bei dem gleichen leichten Schieben sofort nach hinten die Balance verlieren. 

Dieser Ki-Test ist für Anfänger immer sehr verblüffend, wird uns im Üben aber noch sehr viele Jahre begleiten, da er (neben vielen anderen Ki-Tests) immer feiner genutzt werden kann, um auch kleinste geistige Anspannungen, Ablenkungen usw. aufzudecken. Warum fällt der Getestete einmal um, und das andere Mal bleibt er stehen? Weil die Änderung des Geistes (zunächst eventuell sogar unmerklich) den Zustand seines Körpers subtil verändert hat, z.B. in Form von leichten Anspannungen, Abschlaffungen usw., und er dadurch nicht mehr seine natürlich stabile Haltung hat. 

Basierend auf diesen Grundlagen üben wir dann in den Ki-Übungen einfache Bewegungen in Einheit von Geist und Körper, die dann ebenfalls von einem Partner getestet werden können. Was testen wir dabei eigentlich? Letztlich ganz einfach nur, ob unser Geist das zu Tuende klar und rein dirigiert, „bei der Sache ist, aber ohne das Ganze zu verlieren“, hier und jetzt in Einheit – ohne Ablenkungen, Festhalten an störenden Mustern, die Bewegung störende Ideen, oder andere „Verfärbungen“…

Und schliesslich üben wir dann im Shinshin Toitsu Aikido den Umgang mit einem Übungspartner in Einheit von Geist und Körper, wobei der Partner einen Angriff simuliert und wir üben, damit ohne Gewalt und Konflikt (inneren und gegenüber dem Partner) umzugehen. Das üben wir anfangs durch einfaches Halten, dann folgen Stöße und Schläge, erst langsam, dann immer schneller, und letztlich üben wir auch mit mehreren Angreifern. So wird unsere Einheit von Geist und Körper, unsere Einheit mit dem Partner und mit dem ganzen Universum, immer stärker herausgefordert, getestet und weiter entwickelt – weiter entwickelt in dem Sinne, dass man sie immer stabiler beibehalten kann, sie seltener verliert, in ihr lebt.

Soweit, so gut. Bisher haben wir uns damit beschäftigt, wie ich in meinem Tun, in der Art wie ich sitze, stehe, liege, etwas anfasse, halte, bewege, bis hin zu wie ich mit einem anderen Menschen umgehe… meinen Geist so nutze, dass Geist und Körper in Einheit natürlich und effizient, und in Harmonie mit meiner Umwelt agieren. So lebe, dass ich die natürliche Einheit von Geist und Körper nicht störe.

Was steht dieser Einheit aber oft „im Wege“? Warum „verlieren“ wir sie so schnell und oft? Woher kommen geistige (und daher dann auch körperliche) Muster, die mich dabei behindern, die mich diese Einheit (scheinbar) verlieren lassen? Die mich nicht in Harmonie mit allem in mir und um mich herum leben lassen? Die das Gleichgewicht stören? Ist mein Geist denn auch wirklich so geschaffen, entwickelt, und in der Lage, alle Lebensprozesse zu lenken? Und wenn nicht automatisch so angelegt, kann er entsprechend geschult bzw. entwickelt werden? 

Nun, ich glaube hier lohnt es sich, noch etwas tiefer einzusteigen – was ich dann im nächsten Artikel tun werde…