Neu im Dojo? Die ersten Schritte auf dem Weg…
— von Olaf T. Schubert —
Japanische Künste, die man als Weg praktizieren kann, gibt es viele (und nicht nur japanische, aber auf die konzentriere ich mich hier mal). Viele enden schon dem Namen nach auf -do (jap. Weg)… z.B. Chado (Teezeremonie), Kado (Blumenstecken), Judo (werfende Kampfkunst), Iaido (Schwert ziehen) usw., aber auch z.B. Zen kann man als einen solchen Weg sehen. Ich praktiziere seit vielen Jahren Shinshin Toitsu Aikido, den Weg in Harmonie mit dem Ki des Universums, aber das Gehen bzw. Praktizieren dieses Weges unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Wegen.
Eine solche Kunst regelmäßig zu üben bedeutet jedoch nicht automatisch diese Kunst tatsächlich als Weg zu gehen. Vielmehr ist es oft eher ein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung, vor allem hier im Westen. Allen Wegkünsten ist gemein, dass sie den Charakter des Übenden formen, sein tägliches Leben verändern – können, wenn man sich auf die Kunst als seinen Weg einlässt (ausführlicher möchte ich das aber erst später in einem separaten Artikel beleuchten, Thema: Keiko versus Shugyo).
Nun, jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt… Aber wie mache ich mich eigentlich auf einen solchen Weg, und welche Dinge sollte ich dabei beachten? Ich erkläre das einfach mal am Beispiel des Weges des Shinshin Toitsu Aikido.
Der Ort den Weg zu üben
Einen Weg erlernt man nicht in Kursen, an dessen Ende ein gewisses Können steht, man geht dafür in keine Schule, man kann das Wissen und die Fertigkeiten nicht kaufen, man hat noch nicht mal einen Trainer oder Lehrer (im westlichen Sinn). Wie bitte, ich kann nicht ganz folgen?
Als Aikidoka (合氣道家, Praktizierender des Aikido) hat man einen Sensei (先生, jap. „der früher Geborene“), und man ist kein Kursteilnehmer sondern Deshi (弟子, jap. „Schüler, Lehrling“). Die Beziehung ist eher vergleichbar mit einem Handwerksmeister, der seinen Lehrlingen seine Kunst rundum beibringt und sie zu Gesellen ausbildet (was in Japan heute noch so praktiziert wird und schon mal 10-15 Jahre dauert), als mit einem Trainer, der im Sportverein die Gruppe in Handball trainiert, oder einem VHS-Kurs, in dem die Kursteilnehmer ein paar Rückengymnastikübungen erlernen. Der Sensei begleitet und führt dich auf einem jahrelangen Weg, der dich als ganzheitlichen Menschen entwickelt, was weit über das Vermitteln bloßer körperlicher Fertigkeiten hinausgeht. Neben langjähriger (nicht 6 oder 8 Jahre oder so, wir sprechen hier von Jahrzehnten) eigener Erfahrung in seiner Wegkunst ist auch eine gewisse Lebenserfahrung hilfreich, um seine Schüler verantwortungsvoll und kompetent führen zu können. Auch sollte der Sensei selbst noch weiter lernen, was der Anfänger natürlich schwer beurteilen kann – ein guter Hinweis ist es, wenn dein Sensei selbst regelmäßig auf Seminare bei seinem Sensei geht, oder sogar regelmäßig zum weiteren Lernen nach Japan reist.
Den Ort, an dem man den Weg lernt, nennt man Dojo (道場). Dort gibt es scheinbar für alles Verhaltensreglen und Formen der Etikette. Diese haben jedoch durchaus Sinn und dienen hauptsächlich dazu, ohne ständig erklären zu müssen das Verhalten und den Umgang im Dojo so zu gestalten, dass die Umstände und der geistige Boden für das Aufnehmen der Lehre bereitet werden. Es geht um die innere Einstellung des Schülers zum Weg, und das äußert sich ganz offensichtlich im Verhalten im Dojo, den Mitschülern und dem Sensei gegenüber. Die korrekte Einstellung ermöglicht es, den Unterricht mit möglichst wenig Hindernissen und mit möglichst hoher Effizienz aufzunehmen. Man öffnet sich für das vom Sensei Gesagte und Gezeigte, man verinnerlicht durch die Erfahrungen im Üben, dies wirkt sich aus auf uns als Mensch, und auch im täglichen Leben versuchen wir nach diesen Prinzipien zu leben.
Tritt man in ein Dojo ein und begibt sich auf einen Weg, so ist dies wahrscheinlich eine der wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben. Neben dem Sensei hilft dir auch die Dojogemeinschaft auf deinem Weg – gleichzeitig trägst aber auch du zum Gelingen der Gemeinschaft bei. Als solches ist auch der Monatsbeitrag zu verstehen – als Beitrag zum Erhalt und Betrieb des Dojos. Du kannst Technik und Wissen nicht kaufen. Der Sensei zeigt und lebt den Weg vor, gibt nützliche Tipps und Hinweise, kritisiert auch mal, räumt Hindernisse aus dem Weg die der Schüler noch nicht alleine bewältigen kann, oder unterlässt das Hindernis-Wegräumen auch mal, wenn der (fortgeschrittenere) Schüler durch deren Überwindung wachsen kann.
Auf dem Weg des Shinshin Toitsu Aikido praktizieren wir die Einheit von Geist und Körper und die Einheit und Harmonie mit dem Ki des Universums. Grundlage dafür ist die ruhige Zentrierung im Unterbauch (Onepoint) und die wache Aufmerksamkeit für alles in uns und um uns herum. Darauf baut die gesamte Etikette im Dojo auf, wie wir uns im Dojo bewegen, auf die Dinge achten die es zu tun gibt, wie wir mit den anderen im Dojo umgehen. Indem wir dies erkennen, wird nach und nach aus der Disziplin, eine vorgegebene Etikette zu befolgen, ein Verstehen und ein freiwilliges, selbstverständliches Tun. Es ist alles Teil des Übens, in allen Tätigkeiten gehen wir den Weg. Dadurch wird diese geistige Haltung für uns normal… so dass wir sie dann ganz natürlich immer mehr auch in unser tägliches Leben übernehmen.
„Dein“ Dojo finden
Das für dich passende Dojo und „deinen“ Sensei zu finden ist ganz entscheidend für deinen Weg. Schon allein weil du dort viel Zeit verbringen wirst. Es ist als Anfänger natürlich schwer zu erkennen, ob das Dojo und der unterrichtende Sensei zu dir passen. Dein eigenes Gefühl ist einerseits wichtig und sollte beachtet werden… andererseits kann es aber auch etwas trügerisch sein, da die Atmosphäre und das Verhalten der Menschen im Dojo aufgrund der Nähe zur japanischen Kultur und der Etikette in einem Dojo für Neulinge zunächst ungewöhnlich sind und sogar befremdlich wirken können. Wenn man sich für einen neuen Weg entscheidet, und sich weiterentwickeln möchte, ist es aber eigentlich zu erwarten, dass die Umstände, der Ort und die Art des Unterrichts nicht im Bereich des Bekannten und Gewohnten liegen. Eine gewisse Bereitschaft, die liebgewonnene Komfortzone hier und da mal verlassen zu müssen, gehört prinzipbedingt dazu. Obwohl heutzutage meistens die Suche über das Internet stattfindet, was auch wegen der Infomationsvielfalt über die verschiedenen Künste und Dojos gut ist, kommst du letztlich immer noch nicht drum herum zu einem Dojo zu gehen, anzufangen, und dich in das Abenteuer zu stürzen. Dann wirst du im laufe der ersten Monate erleben, ob das Dojo zu dir und du zum Dojo passt.
Prioritäten, Prioritäten
Einen Weg gehen zu wollen erfordert immer auch die Bereitschaft, die erforderliche Zeit dafür zur Verfügung zu stellen. Dies bedeutet letztlich immer ein Überdenken der persönlichen Prioritäten. Schließlich hattest du bis dahin ja nicht jeden Tag einfach mal mehrere Stunden einfach rumgesessen… Job, Partner, Kinder, Haushalt, Verwandte, Urlaub, andere Hobbies, Hund und Katze, ausreichend Schlaf nicht vergessen… die Liste der täglichen Prioritäten ist lang und der Tag hat schließlich nur 24 Stunden! Aber wenn wir mal ehrlich sind… wieviele Stunden täglich versackern fast unmerklich am Smartphone, wenn wir morgens am Wecker vier mal auf die Schlummertaste drücken, am PC sitzend und im Internet surfend (Youtube, amazon, etc), oder abends zappend und mit einem leckeren Bierchen vor dem Fernseher?
Jeder Tag hat 24 Stunden. Immer wieder. Für jeden. Ob arm oder reich! Was du damit anstellst liegt in deiner Hand, niemand kann dir dieses tägliche Budget an Zeit nehmen. Wie du damit auskommst, und wie du dein Leben mit diesem Budget gestalten wirst, hängt ganz entscheidend von deinen Prioritäten ab! Was auch immer dich veranlasst hat, das Studium eines Weges aufzunehmen, ein innerer Drang, ein Suchen, ein Wunsch sich weiter zu entwickeln… dies ist gleichzeitig deine Motivation, diesem Weg die nötige Priorität auf deiner Liste einzuräumen. Tue das am besten in Abstimmung mit deinem/r Partner/in, ohne deren Unterstützung und Verständnis wird es schwer durchzuhalten.
Eine gute und bewährte Strategie ist es, sich zwei Abende pro Woche fest zu vereinbaren, an denen man für jeweils zwei Stunden ins Dojo geht. Egal was da kommt – mit Ausnahme von Krankheit natürlich, und auch der Abiball der Tochter hat dann doch noch Vorrang. Aber dafür kann man dann auch an einem anderen Abend ausgleichen… ein richtiges Dojo sollte (fast) täglich Unterricht anbieten und so jedem zwei bis drei Übungseinheiten pro Woche ermöglichen. Für Schichtarbeiter und Selbständige ist es auch sehr von Vorteil, wenn das Dojo der Wahl morgens und abends und eventuell sogar am Wochenende geöffnet ist.
Neben dem Unterricht und Üben im Dojo wirst du früher oder später auch zu Hause üben wollen – einerseits weil die Zeit die du im Dojo sein kannst irgendwann als nicht mehr ausreichend empfunden wird, und andererseits weil manche Übungen einfach besser alleine zu Hause geübt werden, wie z.B. Meditation und Ki-Atmung. Aber ich möchte nicht vorgreifen… dieses Thema soll in einem anderen Artikel behandelt werden.