Ki-Atmung – Eine kurze Einführung, Teil 1
Geist und Körper sind von Natur aus Eins. Mit einer natürlichen, korrekten Körperhaltung und einem ruhigen, zentrierten Geist sind wir gesund, sind aktiver Teil des Lebens, eins mit unserer Umgebung – wir sagen: Ki fließt. Das Universum ist eine unendlich große Ansammlung unendlich kleiner Teile und ist ständig im Fluss – wir nennen dies Ki.
Koichi Tohei Sensei definiert Ki in seinen Shokushu (Ki Worte) so:
„11. Die Essenz des Ki
Beim Zählen aller Dinge beginnen wir mit der Eins. Selbst wenn wir diese Eins in unendlich kleine Teile zerteilen, wird daraus niemals Null. Genau wie Etwas niemals aus Nichts erzeugt werden kann, kann Eins niemals aus Null entstehen.
Ki ist die unendlich große Ansammlung unendlich kleiner Teilchen. Wir sind eine Konzentration dieses universellen Ki, und wenn man es weiter konzentriert, wird es der Eine Punkt im Unterbauch. Selbst wenn man diesen unendlich weiter konzentriert, wird er niemals Null. So sind wir eins mit dem Universum, und können die Essenz des Ki erkennen.“
In Einheit von Geist und Körper sind wir natürlicherweise Teil dieses universellen Ki-Flusses, wir erfahren uns als Teil des Universums. In diesem körperlich und geistig gesunden und stabilen Zustand ist unser Atem natürlich, ruhig, und langsam. Sind wir jedoch körperlich in schlechter Körperhaltung, verspannt oder abgeschlafft, geistig nervös, unter Stress oder hängen Gedanken nach, oder sind sogar regelrecht krank, so ist unser Atem kurz, unregelmäßig und schwach.
Das grundlegende Ki-Prinzip lautet: „Der Geist führt den Körper“. Ein positiver, stabiler Geist wohnt in einem gesunden Körper. Manchmal aber werden wir dennoch krank, und nur allzu leicht lassen die meisten zu, das auch der Geist ins Negative abrutscht. Das muss jedoch nicht sein. Selbst wenn der Körper mal krank ist, können wir dennoch einen positiven Geist bewahren, so dass wir in kurzer Zeit wieder gesund werden und der natürliche Zustand wieder hergestellt wird. Wenn wir das im Ki-Training Gelernte verstanden haben und es täglich praktizieren, so wird uns dies möglich sein. Die wichtigste Übung hierbei ist die Ki-Atmung.
Ki-Atmung
Die meisten Menschen schenken ihrer Atmung keinerlei Beachtung. Viele Dinge im Leben sind so „wichtig“ dass man ohne sie scheinbar nicht leben kann – dennoch sollten wir folgendes einmal bedenken: Wie lange kann man ohne Essen überleben? 3 Wochen? Wie lange ohne Trinken? 3 Tage? Wie lange ohne Atmen? 3 Minuten?
Ki-Atmung ist Atmung in Einheit von Geist und Körper – mit einer natürlichen, korrekten Körperhaltung und einem ruhigen, zentrierten Geist. In diesem Zustand ist sowohl unser Geist als auch der Körper absolut komfortabel und stabil. Dies können wir mit einem sogenannten Ki-Test überprüfen. Dafür braucht man einen Übungspartner – wie man einen Ki-Test bei jemand anderem durchführt wird lernen wir im Dojo. Man kann aber auch einen Selbsttest durchführen – mehr dazu später.
Da die Ki-Atmung über einen längeren Zeitraum geübt wird (ca. 15 Minuten am Anfang, später 1 Stunde und länger), ist eine sitzende Position am geeignetsten. In einem Dojo mit weichen Matten üben wir meistens im Kniesitz auf einem Bänkchen sitzend, zu Hause und unterwegs auf Dienstreisen oder im Urlaub (und für Menschen mit körperlichen Beschwerden) wird jedoch meistens auf einem Stuhl sitzend geübt. Daher werden wir uns hier auf diese Methode konzentrieren – auf einer Sitzbank gilt das Gesagte mit minimalen Änderungen genauso.
Die Sitzhaltung in Einheit von Geist und Körper
Zunächst brauchst Du einen geeigneten Stuhl. Die Sitzfläche muss gerade (parallel zum Boden) und so hoch sein, dass die Beine/Füße gut auf dem Boden stehen können. Die Oberschenkel sollten parallel zum Boden oder leicht nach unten geneigt (Knie etwas tiefer) sein, so dass das Becken natürlich gerade und der Rücken entspannt aufrecht sein können. Ist die Sitzfläche nach hinten abfallend, setze dich dichter zur vorderen Kante (Stabilität des Stuhles beachten), ist die Sitzfläche zu niedrig (Knie zu hoch), lege eine Decke oder ein stabiles Kissen als Erhöhung auf die Sitzfläche. Der Rücken ist natürlich gerade und aufrecht ohne sich anzulehnen, die Neigung minimal nach vorne so dass das Gewicht des Oberkörpers gefühlt nicht ganz hinten in die Pobacken/Sitzknochen fällt, sondern etwas weiter vorne hin zur Mitte unserer Kontaktfläche mit dem Sitz. Die Füße stehen am besten in schulterbreitem Abstand zueinander.
Probiere nun bitte einmal verschiedene Haltungen des Oberkörpers aus.
Korrekte Haltung
Sitze leicht und sei innerlich groß, ohne Anstrengung. Die Hände liegen leicht auf den Oberschenkeln, mit geraden Handgelenken zeigen die Finger leicht nach innen. Der Geist ist wach. Ein Partner kann Dir jetzt einen Ki-Test geben und dir zeigen dass du stabil bist.
Selbsttest: In dieser Haltung kannst Du die Schultern leicht heben und senken, und auch ein Ausatmen durch den Mund geht entspannt, ruhig und relativ lange.
Falsche Haltung – angespannt
Strecke dich einmal künstlich groß mit Brust raus… Arme und Hände strecken sich fast automatisch mit Spannung, der Fokus rutscht in den vorderen Brustbereich, der ganze Rumpf verspannt sich deutlich (wer Rückenprobleme hat spürt den Druck im unteren Rücken). Auch der Geist scheint so eingefroren verspannt. Ein Ki-Test durch einen Partner wird dir zeigen, dass du so nicht stabil bist.
Selbsttest: Neben den schon beschriebenen Wahrnehmungen von Verspannung kannst Du in dieser Haltung auch kaum die Schultern heben und senken, und auch ein Versuch des Ausatmens durch den Mund gerät sehr kurz und gepresst.
Falsche Haltung – abgeschlafft
Jetzt lasse dich einmal schlaff zusammen sacken. Dies nennen wir tote Entspannung. Auch hier fühlt man Spannungsdruck, vor allem im Bauch, aber auch im unteren Brust- und Rückenbereich. Der Geist wird automatisch lahm und schläfrig. Auch hier wird ein Ki-Test durch einen Partner keine Stabilität zeigen.
Selbsttest: Neben den schon beschriebenen unangenehmen Wahrnehmungen kannst du auch hier kaum die Schultern heben und senken, und auch ein Ausatmen durch den Mund ist wieder kurz und gepresst.
Mit etwas Übung wirst du nun in Zukunft schnell die richtige Haltung finden – leicht, aufrecht, entspannt, wach und lebendig.
Das Ausatmen
Von unserem Lungenvolumen von ca. 3 bis gut 4 Litern atmen wir normalerweise im ruhigen Atemfluss (z.B. während du dies liest) nur ca. 0,5 Liter aus und ein. Das bedeutet, dass der Großteil der verbrauchten Luft in den Lungen verbleibt, beim nächsten Einatmen kommt auch nur wenig Luft mit frischem Sauerstoff herein.
Durch Ki Atmung erreichen wir ein tiefes und langes Atmen, das einen (nahezu) kompletten Austausch von frischer und verbrauchter Luft ermöglicht. Durch das Atmen im ruhigen Sitzen ist es uns leichter möglich, bis tief in den Bauch, d.h. mit dem ganzen Körper zu atmen. Diese tiefe Bauchatmung kannten wir alle als Babys, die meisten von uns haben sie jedoch spätestens mit 5 oder 6 Jahren (Verkopfung durch TV, Handy, PC, Schule) verlernt… es ist jedoch erstaunlich einfach dies wieder zu erlernen.
Setze dich bitte in die korrekte Haltung, und atme einmal durch den offenen Mund aus…
Waren es ungefähr 5 – 6 Sekunden? Hat sich dabei der Brustkorb gesenkt? Okay, das nennen wir Brustatmung. Tohei Sensei benutzte hier gerne das Beispiel des Austeigens aus einem Bus: Zunächst steigen die Fahrgäste vorne an der Tür aus, und dann die Fahrgäste dahinter, und immer so weiter, die ganz hinten sitzenden zum Schluss. So entsteht kein Gedränge und der ganze Bus wird ruhig und gleichmäßig leer. Ganz ähnlich läuft es beim korrekten Ausatmen:
Beim nächsten Ausatmen… stelle Dir vor der Atem verlässt zunächst den Kopf, dann Brust und Rücken abwärts, den Bauch, die Beine bis zu den Zehen…
Und, ging es länger und ruhiger? War der Brustkorb ruhiger? Super!
Dies übe nun bitte einige Male, durch den geöffneten Mund (bitte locker öffnen ohne Spannung in Kaumuskeln oder Hals, als wenn du „A“ sagen willst), dabei entsteht ganz natürlich ein ruhig beginnendes, leises und gleichmäßiges „haaaaaaa…“ durch den Atem-strom tief aus dem Körper (ähnlich dem Anhauchen eines Fensters im Winter), den Ton bitte nicht aus dem Hals drücken oder mit den Backen pusten. Beim Ausatmen bleibe groß und entspannt und sacke nicht zusammen. Wie du zwischendurch einatmest ist erst mal egal… übe ruhig, ohne Erfolgsdruck… bis es sich wirklich angenehm anfühlt.
Dein Ausatmen kann jetzt schon mal 10 Sekunden lang sein… es geht jedoch im wesent-lichen zunächst um den korrekten Prozess des Atmens, die Ruhe und Länge des Atmens wird sich mit Übung langsam steigern. Denke während des Atmens bitte nie daran wie lange dein Atem gerade fließt (oder beim letzten Atemzug war)… Wenn das Ausatmen sicher läuft, kannst Du auch das Bild des Entleerens von oben nach unten weglassen – dies brauchen wir nur am Anfang. Einfach atmen, nicht denken, nicht bewerten… nur atmen…
Als nächstes schauen wir uns nun das Ende des Ausatmens an. Die meisten atmen bis nichts mehr geht und stoppen dann am Ende abrupt. Dies ist nicht natürlich und führt zu Anspannung. Lese bitte noch einmal den Spruch Nr. 11 von Tohei Sensei auf Seite 1… Unser Atem endet genauso mit dem Gefühl von halbe, halbe, halbe, halbe…. Das heißt wir atmen zum Beispiel ca. 8 Sekunden gleichmäßig „haaaaaaaa“, und wenn der Atem natürlich zu Ende geht, lassen wir ihn natürlich mit dem Gefühl von halbe, halbe, halbe, halbe…. ausklingen…
Shinichi Tohei Sensei (Koichi Tohei Senseis Sohn und Nachfolger) zeigt das Ausatmen gerne mit zwei Fingern an wie in der folgenden Skizze:
Bei diesem Ausklingen kommt nach ca 2-3 Sekunden nicht mehr wirklich Luft raus, aber das Gefühl bleibt, und dieses ausklingende halbe, halbe, halbe, halbe…. ist sogar in unserem Einen Punkt tief im Unterbauch zu fühlen. So können wir ruhig bleiben, und kommen nicht unter Stress wieder schnell einatmen zu müssen.
Nun können wir etwas Bewegung hinzufügen.
Atme bitte noch einmal aus, am Ende lasse den Atem mit halbe, halbe, halbe, halbe…. ausklingen…
Das Ausklingen des Atems geht nahtlos über in ein leichtes nach vorne Beugen des Oberkörpers (wie eine Weidenrute ganz wenig am Bauch, etwas mehr im Brustbereich, am meisten am Kopf nach vorne). Von der Bewegung(!) ähnlich als wenn man seufzend ausatmet, jedoch ohne das Abrupte und ohne das Abschlaffen und Zusammensacken!
Dabei bleibt der Mund offen, und durch die leichte Bewegung kommt auch noch natürlich ein letztes bisschen Luft heraus (nicht drücken, nicht stoppen oder anhalten!). Zähle „eins, zwei, drei“, schließe den Mund, und dann beginne das Einatmen ruhig durch die Nase…
Übe dies bitte einige Male, bis es sich gut anfühlt und vor dem Einatmen kein Stress mehr entsteht.
Lesen Sie hier weiter: Teil 2 …